Was ein Pferd braucht, ist mittlerweile kein Geheimnis mehr und überall nachzulesen.
Doch wie ein Pferd ist, das ist schwer zu erklären, da es neben all dem, was es auf natürlichem Wege mitbringt, und was es ausmacht, in seiner Art zu Sein durch die Gruppenenergie der Pferdeherde und seiner dort eingenommenen (wichtigen) Rolle geprägt ist und sozialisiert wird. Ein Pferd ist ein Teil einer Herde. Das ist seine Natur und entspricht seinem Wesen.
Doch was ist, wenn ein Pferd nicht in einer gesund funktionierenden Herde leben kann und somit mehrere Rollen einnehmen muss, um sich ganz und gar wohl und sicher zu fühlen? Oder was ist, wenn für das Pferd gar keine Klarheit mehr besteht, welche Rolle es füllen sollte, weil die Aufgabe als separat gehaltenes Tier auf einem Einzelpaddock (vielleicht zumindest neben anderen) natürlich viel zu groß ist? Oder was ist, wenn ihm viel zu gut gemeint alles abgenommen wird und Verwirrung im instinktiv gesteuerten Lebenssinn entsteht?
Pferde leben von der Interaktion mit anderen Pferden. Nur dann ist das Pferdeleben natürlich und gibt ihnen ihren authentischen Sinn. Dann sind sie integer. Am natürlichsten ist eine Herde, die sich langsam über die Jahre familiär vergrößert und entwickelt hat. Das sind Pferde, die Höhen und Tiefen miteinander erleben. Saisonale Veränderungen werden gemeinsam gemeistert, die Pferde haben Naturerlebnisse (gemeinsam Flüsse durchqueren, den besten Weg durch eine Schlucht finden), sie überwinden eventuelle Nahrungsknappheit oder andere Not gemeinsam und erfreuen sich an den Nachkommen, die von allen je nach Rolle geschützt, versorgt, integriert und begrenzt werden. Die ganze Interaktion ist dabei beweglich und flexibel, die Gruppe ist EINS und jedes Individuum ist gleich wichtig.
Zäune zwischen den Pferden zu haben, zerstört diese Interaktion leider voll und ganz und lässt nur einen Bruchteil an Möglichkeiten des natürlichen Zusammenlebens offen.
Andere Pferde leben in großzügig zusammen gewürfelten Zweckgemeinschaften mit ewig wechselnden Beziehungs– oder Konkurrenzpartnern…oft Charaktere und Arten, die sich in der Natur niemals (und schon gar nicht auf so engem Raum) begegnet wären, oder wenn, dann höchstens kurz.
Dies ist meiner Meinung nach der Kern, warum so viele Pferde unter Krankheit, Melancholie, Gesundheitsermüdung und Leistungseinbußen bis zum Nervenzusammenbruch oder Burn Out leiden…Viele von ihnen erlebe ich in meiner therapeutische Tätigkeit als gewissermaßen „müde“, sich noch wieder auf eine neue Person, ein anderes Pferd, einen neuen Ort einzulassen. Sie sind sozial erschöpft und des unnatürlichen Anpassens und Lebens müde. Und sie sind oft emotional von ihrem Menschen vereinnahmt, als „mein Pferd“ und entsprechend durch soziale Einseitigkeit vereinsamt, abgestumpft und mit der Situation überfordert.
Wir Menschen, die ja auch “Familien-Gruppentiere“ sind, haben uns von unserem sehr ähnlichen natürlichen Ausgangspunkt „Familie“, der uns deutlich Orientierung und Halt gibt, schon lange entfernt. Kein Lebewesen, das ursprünglich in der sozialen Gruppe Liebe, Schutz, Fürsorge und Sicherheit fand, lebt so häufig allein, wie wir Menschen heutzutage. Das Desaster: wir haben begonnen, dieses Thema mit in die Pferdeställe zu integrieren, und die Pferde so leben zu lassen, wie wir selbst mittlerweile in hoher Anzahl naturentfernt leben. Oft allein, in wechselnden Beziehungen, in mehreren Rollen, überfordert, mit schlechtem Schlaf, sozial verunsichert und vieles mehr. Zu verdenken ist den Menschen das nicht, trägt doch die Art und Weise, wie mittlerweile viele von uns aufwachsen, unser Schulsystem, die Leistungsgesellschaft mit ihrem stetigen Druck und alle Arten von Medien und Nachrichten unaufhörlich und ständig wie ein Tropfen auf den heißen Stein dazu bei, dass wir uns dessen immer weniger bewusst sind, worum es eigentlich auch in unserer Natur geht und (EntschuldigungJ:) etwas hohl werden. Hohl, weil der Sinn auch uns dann fehlt, und wir sehnsüchtig nach etwas suchen, das uns nährt, versorgt, schützt, stützt und uns im Inneren vertraut, warm und wohlig sein lässt. Der Kauf eines Pferdes entspringt oft tiefsten, ungestillten sozialen und emotionalen Bedürfnissen. Zur Entlastung: da schließe ich mich selbst nicht aus!
Zurück zu den Pferden und ihrer Natur: Pferde nehmen die Gruppenenergie der Herde auf. Das beweisen zum Beispiel Aura-Fotografien aus den Rocky Mountains: einzelne Pferde haben sehr wohl eine persönliche Aura, die sich nach Verfassung, Thematik, Gesundheitszustand oder Herausforderung anpasst und verändert und die Reifesituation eines Lebewesens erkennen lässt. Eine Gruppe familiär bezogener, miteinander integer lebender Pferde hat auch eine Aura, eine Gesamtaura, wie ein einzelner Organismus. Trennt man ein Pferd der Herde daraus, kann es sich je nach Stabilität und Reife die Energie der Gruppe, sichtbar als die Stärke, Ausprägung, Form und Farbe der Aura, eine Zeit halten, bis seine persönlichen Schwachstellen und seine persönlichen Stärken sich zeigen und manifestieren und die Vitalität der Erschöpfung weicht.
Nun leben wir in einer Zeit, in der es ein hohes Gut sein soll, dass wir eine Persönlichkeit sind: individuell, einzigartig, auf uns allein gestellt, funktionierend und dann noch mit dem großen Anspruch, dass dies auch fernab vom möglichst sicheren zu Hause funktioniert: auf der Arbeit, in der Fremde…um bitte leistungsstark unsere Stärken unter Beweis zu stellen. Bei aller Liebe: natürlich und der Art gerecht ist das weder für Mensch, noch für Tier.
Und oft ist es so, dass, wenn wir das gedrillte Ziel selbst zu erreichen schaffen, wir eben das auch von unseren Pferden erwarten. Und wenn wir das nicht so gut können und an dieser Stelle Schwächen haben, sollen unsere Pferde das möglichst ersetzen, damit wir diese unnatürliche große Aufgabe wenigstens in diesem Lebensbereich meistern und uns gut fühlen. Beiden Beispielen gleich ist, dass wir Menschen das Leben unserer Pferde oft so gestalten, wie unser eigenes ist oder sein sollte. Und wir – ohne dass wir uns darüber Gedanken machen und es bewusst wollen – vieles Unbewusstes auf unsere Pferde projizieren.
Ich glaube, die Dosierung ist das Gift.
Da ich mich als Mensch nicht von meinem Dasein und meinen Schatten wie Ängsten, Kummer, Sorgen, Nöten oder auch Wut, Zorn und Leistungsdruck trennen kann (zu mal ein großer Teil davon im Unterbewussten gespeichert ist und sich ob ich es nun will oder nicht durch meine Art und Körperhaltung zeigt), habe ich nur drei Möglichkeiten (oder besser Herausforderungen), meinem Pferd sein Leben sinnvoll und lebenswert zu gestalten. Diese 3 Dinge laufen am besten alle Hand in Hand:
Herausforderung Nummer eins: Ich beobachte mich selbst, lerne mich kennen, lerne meine Schatten kennen und versuche herauszufinden, was ich eigentlich (von mir und) von meinem Pferd will, ganz selbstehrlich. Das schafft ein erhöhtes Bewusstsein.
Bestenfalls versuche ich, mit meinen Schatten Frieden zu schließen und Licht ins Dunkle zu bringen. Da die Energie der Aufmerksam folgt, soll das Ziel eine Verbesserung der eigenen Zufriedenheitssituation sein. Was ich ändern kann, ändere ich, den Rest lerne ich in Liebe zu akzeptieren. Kreativität und Loslassen bringt immer Farbe und Licht ins Leben! Dann spiegeln uns die Pferde in Zukunft unsere Leichtigkeit und Freude, nicht unsere Schattenseiten und Schmerzen.
Herausforderung Nummer zwei: Die Dosierung ist das Gift: Je mehr ich von meinem Pferd will, desto mehr hat es nicht nur den Anspruch, sondern das absolute Recht auf natürlichen Ausgleich dazu. Das betrifft natürliche Haltung (nicht naturnah neben der Natur, sondern Leben in der Natur), Platz, beständige Herdenmitglieder mit dem es ihm gut geht und wo es in eine Gruppe integriert ist, natürliches Futter, natürliche Bewegung, Wetter, Rückzug, Freizeit, Schlaf und als Stute auch mal ein Fohlen. Dann, und nur dann ist das Pferd in der Lage, wieder in seine Natur einzutauchen und sich von der Gruppe „färben“ zu lassen. Wie viele Pferdehalter beobachten, wie genüsslich ihre Pferde sich sofort nach dem Absatteln wälzen wollen…
Herausforderung Nummer drei: Werde als Pferdehalter so natürlich, wie Du sein kannst und konzentriere Dich auf Dein eigenes Wesen und Deinen guten Kern. Folge Deiner Wahrheit, genieße den Freiraum, werde ein Teil der Pferdeherde und integriere Dich, ohne Anspruch auf einen hohen Platz in der Herde. Sei einfach da und lass auch Du Dich von der Energie einer natürlich lebenden Gruppe anstecken. Ich glaube, das ist das höchste Gut, dass die Pferde uns geben können. Dafür jedoch müssen zuerst wir diejenigen sein, die Ihnen geben, was wir zu geben haben. Und wir können viel ermöglichen und haben unendlich viel zu geben, wenn wir wollen und uns dafür stark machen - vor allem, in einer natürlichen Gruppe!
In diesem Sinne,
aho mitakuye oyassin (all meinen Verwandten)
Tanja von Salzen-Märkert
www.essentiellepferdearbeit.de
GERN AUCH ZUM WEITERREICHEN!
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